Sonntag, 5. Dezember 2010

Quo vadis "Wetten, dass..?"

Ach ja, wie immer nach medienträchtigen Tragödien beginnt sofort die Fragerei nach dem Warum und den Konsequenzen. Und überall schmeißen die Leute bei ihren Kommentaren mit Polemik und Extremmeinungen um sich, machen aus der Sache gleich wieder eine Grundsatzdebatte über öffentlich-rechtliches Fernsehen.
Ok, es wäre überheblich, wenn ich mich mit meinen Beiträgen da ausklammern würde, aber wer zu dem gestrigen Vorfall nichts Besseres dazu sagen kann außer "Schluss mit Wetten, dass..?" oder "Gottschalk ist an allem Schuld", der soll lieber ruhig sein.
Versuchen wir doch bitte, das Ganze mal nicht hitzig und pauschal zu diskutieren, sondern gelassen und objektgebunden.

Blicken wir erst einmal auf die vielen Warums, die sich durch den Unfall aufgetürmt haben. Warum wurde diese Wette so angenommen und durchgeführt? Warum mussten es fünf Autos sein? Warum der Salto? Hätte ein normaler Sprung nicht gereicht? Warum hat das ZDF nicht auf eine Entschärfung der Wettbedingungen gedrängt, gerade unter dem Aspekt, dass die Proben nicht optimal verlaufen sind?
Nun, man vergisst glaube ich im Moment ein bisschen, dass es bei so einer Sache immer zwei Seiten gibt. Es ist ja nicht so, dass die ZDF-Redakteure sich irgendwelche waghalsigen Wetten ausdenken und dann zu jemandem sagen "Mach mal". Der Vorschlag für diese Wette kam, wie bei jeder anderen, von Samuel selbst, einem erfahrenen Kunstturner und Stuntman, der also genau wusste, was er da anbietet.
Genauso wenig kann man dem ZDF vorwerfen, dass sie nicht die Machbarkeit ihrer Wetten überprüfen. Alles, was als Wette über den Äther geht, wird vorher etliche Male durchexerziert, damit der Sender erkennt, ob der Kandidat nur prahlt oder ob er seine Wette tatsächlich beherrscht. Und soweit man den Mitteilungen glauben kann, hat Samuels Wette in dieser Form abgesehen von den zwei Stürzen immer funktioniert. Der Vorwurf der Fahrlässigkeit gegenüber den Machern ist daher ein zweischneidiges Schwert. Natürlich hätte man Samuel aufgrund der Erfahrung bei den Proben vielleicht vorschlagen können, das Ganze auf vier Autos zu reduzieren oder zumindest die Zeitvorgabe wegzulassen. Aber wenn der Kandidat selber dieses Risiko eingehen will und aus genug Selbstsicherheit heraus eine Entschärfung ablehnt, wieso sollte man als Veranstalter dann noch groß widersprechen? Wie gesagt, Samuel war ja nicht irgendein Hobbyhüpfer, er konnte sich selbst mit Sicherheit gut genug einschätzen. Eine generelle Verurteilung der Macher ist daher für mich völlig übertrieben.
Außerdem sollte man bedenken: Bei "Wetten, dass..?" gab es nie so etwas wie eine Gewinngarantie. Das vergisst man bezüglich dieses Formats im Moment auch gerne. Bei der Show geht es nicht nur darum, wer den spektakulärsten Sieg einfährt oder die beste bzw. lustigste Performance ablegt. Jede Wette ist ergebnisoffen angelegt und kann während der Live-Situation jederzeit in die Hose gehen, egal wie erfolgreich man vorher geprobt hat. Diese Wetten leben von der potentiellen Gefahr des Scheiterns, das ist das Grundprinzip dieses Formats.
Wenn alles gut gegangen wäre, hätten alle euphorisch gejubelt und Samuel wäre am Ende bestimmt Wettkönig geworden. Nun ist es anders gelaufen und die Wette ist verloren gegangen. Das ist nicht das erste Mal in der Geschichte dieser Sendung. Im Grunde ist es nur die Härte der Niederlage, die alle momentan so schockiert. Dass ein junger Mann für seine 15 Minuten Ruhm möglicherweise einen sehr hohen Preis zahlt. Muss man deswegen jetzt den ZDF und diese Show verteufeln? Ich sage Nein. Thomas Gottschalk und seinem Team kann man nicht mehr vorwerfen als jedem anderen Beteiligten. Diese Wette ist einfach dumm gelaufen, so blöd das klingen mag.

Darum kann ich auch niemanden verstehen, der sich jetzt künstlich aufregt und meint, solch eine gefährliche Wette ist nur deshalb angenommen worden, weil Wetten, dass..? krampfhaft versucht, nicht gegen RTL abzustinken.
Hallo? Selbstverständlich schaut auch ein Sender wie das ZDF auf seine Quotenratings.
Selbstverständlich muss das ZDF feststellen, dass die Quoten ihres Flaggschiffs seit dem Moment am Sinken sind, als RTL den Respekt abgelegt hat und nicht mehr Gottschalk zuliebe eine Ausstrahlungspause bei DSDS, dem Supertalent oder dem Dschungelcamp macht.
Selbstverständlich stellt man sich seitdem beim ZDF die Frage, warum gerade das junge Publikum immer mehr fernbleibt. Schließlich versteht man diese Show immer noch als Familienunterhaltung, als den letzten Leuchtturm im dunklen Fernsehmeer, der er noch schafft, alle Generationen vor dem Fernseher zu versammeln.
Und selbstverständlich kommt dann das ZDF, wenn es ganz logisch denkt, auf nur zwei mögliche Ursachen für den Schwund: Entweder fehlt es den Zuschauern an Glamour oder die Wetten sind zu langweilig.

Beides spielt gewiss irgendwie eine Rolle. Man kann nicht von der Hand weisen, dass die Show zeitweise zu einem reinen Promo-Hopping für die Stars verkam, wo jemand wie Angelina Jolie schon nach einer Stunde wieder abhaute, um "ihren Flieger zu erwischen". Ich wage aber zu bezweifeln, dass das wirklich so störend für das Publikum war, dass darunter die Quote litt. Keine andere Show in Deutschland kann schließlich eine so hochwertige Gästeliste vorweisen. Das ist seit je her bei "Wetten, dass...?" der ultimative Pluspunkt und macht finde ich noch immer einen Großteil des heutigen Erfolgs aus. (Und lieber zahle ich GEZ-Gebühren für einen überteuerten Besuch von Cameron Diaz als für einen Auftritt von Busty Heart.)
Bleiben also nur, ganz logisch, die Wetten als das Problemkind bzw. als die Baustelle, an der man arbeiten könnte. Aber wie? Von Seiten des Senders hat man ja erst einmal generell keinen Einfluss. Man muss mit dem arbeiten, was man angeboten bekommt. Das Einzige, was man höchstens machen kann, ist, die eingehenden Vorschläge anders zu filtern, und in dem Zusammenhang ist nichts Verwerfliches dran, wenn ein altehrwürdiges Format wie dieses versucht, mehr mit der Zeit zu gehen. Und so sehr manche es auch verteufeln mögen: "Mit der Zeit gehen" bedeutet nun mal heutzutage anscheinend mehr Spektakel und Kurzweil. RTL macht das - leider Gottes - mustergültig vor.
Dass der ZDF deshalb einen so spektakulären Wettvorschlag wie den von Samuel gerne annimmt, ist vollkommen nachvollziehbar. Aber selbstverständlich muss die Frage erlaubt sein, wie weit der ZDF als öffentlich-rechtliche Einrichtung und wie weit "Wetten, dass..?" als Familiensendung diese Anbiederung an den medialen Zeitgeist nötig hat. Oder anders gesagt: Würde man die Sendung wirklich weniger lieben, wenn sie nicht mehr bei Jung und Alt die Nummer 1 am Samstagabend ist? Ich finde, wenn bei ihr weiterhin eine massentaugliche Unterhaltung mit hohem Star-Faktor geboten wird, bei der man sich nicht fremdschämen muss und die nicht auf Kosten der Kandidaten geht (sowohl hinsichtlich ihrer Gesundheit als auch ihrer Persönlichkeit und Privatsphäre), dann hat sie meiner Meinung nach ihre Daseinberechtigung mehr denn je. Da sollte es doch letzten Endes sekundär sein, wenn das nicht mehr 10 Millionen Menschen gefällt, sondern nur noch 7 oder 8 Millionen.

Was für Konsequenzen müssen also letzten Endes aus dem gestrigen Abend gezogen werden? Schwer zu sagen. Ein Anlass zum Nachdenken sollte der Vorfall definitiv sein. Immerhin haben sie auch eine ganze Winterpause lang Zeit dafür. Eine Absetzung oder Ähnliches wäre auf jeden Fall kompletter Blödsinn. The show must go on. Wie, das wird sich zeigen...



P.S.: Bevor mir hier zu großer Zynismus vorgeworfen wird: Natürlich wünsche ich Samuel alles erdenklich Gute und hoffe, dass er sich schnell wieder erholt.

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