Donnerstag, 30. April 2009

Die große Eurovision Song Contest-Analyse zum 2. Halbfinale

So, die erste Hälfte ist abgefrühstückt, jetzt kommt endlich die zweite Hälfte des Teilnehmerfeldes dran. Und ich kann zu diesem Halbfinale nur sagen: es wird duettiert und gefiedelt, bis der Arzt kommt.

Kroatien: Ein an sich nicht unsympathisches Duett mit typisch balkaneskem Folkloretouch. Nur der Auftritt ist wirklich von gestern. Über die Überflüssige-Bändertänze-im-Hintergrund-Phase sind wir eigentlich seid letztem Jahr drüber. Das lockt keinen mehr hinterm Ofen vor, sondern wirkt eher peinlich.

Irland: Rockig-poppig, freche Optik, aber leider nichts, was einem dauerhaft im Ohr hängen bleibt. Mehr fällt mir daher auch nicht dazu ein.

Lettland: Die Pirates of the sea und ihren 12. Platz im letztjährigen Finale werde ich den Letten nicht so schnell verzeihen. Da macht es der diesjährige Beitrag nicht besser. Vor allem live klang die Nummer sehr grottig.

Serbien: :-) Allein für die Frisur und die Stimme des Sängers müssten sie eigentlich weiterkommen, auch wenn der Auftritt, den sie dazu gebastelt haben, etwas übertrieben "erzählerisch" ist. Aber das Lied ist ganz nett und ist nicht übertrieben balkanesk.

Polen: Möchte gerne große Ballade sein, aber irgendwie funktioniert es nicht zu hundert Prozent. Nicht so wie bei Malta zum Beispiel. Dafür plätschert es etwas zu sehr vor sich hin. Fürs Finale könnte ich aber damit leben.

Norwegen: Oh ja!!! Wird ja jetzt schon total gehypet und als Topfavorit gehandelt. Und das völlig zurecht, absolut. Die Nummer ist einfach nur herrlich bittersüß und zu Herzen gehend. Also wenn nicht schon Deutschland, muss es dieses Jahr einfach ein Skandinavier gewinnen.

Zypern: Das Video täuscht sehr. Das Stimmchen ist live noch sehr jung und dünn. Aber gut, so überwältigend ist das Lied ohnehin nicht, als ob man sich über das Halbfinale hinaus Gedanken darüber machen muss. Darum gleich zum nächsten.

Slowakei: Noch ein Duett. Und noch dramatischer als das kroatische. Berühren tut es mich aber irgendwie trotzdem nicht. Ist das einfach die Sprachbarriere? Wohl kaum, denn bei Serbien vor zwei Jahren spürte ich (ohne Witz) auch sofort nach dem Verklingen des Liedes, dass die sich mit Ukraine um die Spitze kloppen wird.

Dänemark: Seeehr nette Männerstimme, kombiniert mit einer wunderschönen melodischen Ballade. Passt einfach. Wie schon gesagt, die Skandinavier hauen diesmal wirklich durchweg nur Premium-Produkte auf den Markt, von dem ich jedem einzelnen den Sieg gönnen würde.

Slowenien: Die mit Abstand größte Geigenquote an diesem Abend und sowohl musikalisch als auch inszenatorisch ein durchaus gewagtes Lied. Bis zur ersten Textzeile dauert es gut eine Minute, bis die Sängerin endlich hinter ihrer Schattenwand auftaucht, dauert es noch einmal eine Minute. Und spätestens dann macht sie mit ihrem Gesang die ganze Geigenmusik kaputt. Da kann auch das offenherzige Dekolleté nichts mehr retten. :-)

Ungarn: Die elektronischste und modernste Nummer von allen, könnte man sagen, ein bisschen wie Bulgarien letztes Jahr. Wie geschaffen für Tanzflächen. Die partybegeisterte Homo-Community wird sich denke ich freuen. ;-)

Aserbaidschan: Ganz schwer einzuschätzen. Auf jeden Fall das mit Abstand vielversprechendste Duett dieses Halbfinals. Wie sehr nun Arash wirklich für einen Promi-Bonus sorgen kann, lässt sich nicht so leicht sagen. Stimmungstechnisch taugt es auf jeden Fall für einen vorderen Platz. Daher eigentlich mein Geheimfavorit Nummer 3 neben Finnland und Portugal.

Griechenland: Sakis, der alte Sirtakihopser, will es auch noch ein zweites Mal wissen und den Contest wieder nach Griechenland holen. Naja, sollte es gerecht zugehen, wird er seinen dritten Platz von 2004 nicht wiederholen oder übertreffen. Das liegt gar nicht mal am Lied, das ist solide, gar sehr ungriechisch muss ich sagen, aber die Konkurrenz ist dieses Jahr einfach zu gut, um damit einen dritten Platz zu erreichen. Wie gesagt, wenn es gerecht zugeht...

Litauen: Gönnt sich in den letzten Jahren öfters einen eher merkwürdigen Beitrag. Der für dieses Jahr ist da nicht anders. An sich ist der Song sehr ambitioniert, aber die Themen, mit denen er in den Videos konnotiert wird, (u.a. häusliche Gewalt) sind nach meinem Geschmack ein bisschen creepy. Wenn das tatsächlich gewollt ist oder so beim Contest aufbereitet, würde ich von dem Beitrag eher Abstand nehmen.

Moldau: Das Land, von dem niemand weiß, wie man nun richtig im Deutschen schreibt, ist ein gutes Beispiel für die Fragestellung, ob international orientierter Pop die beste Strategie beim ESC ist. Hier ist davon nämlich keine Spur zu finden. Ein vor Balkan-Folklore triefender Auftritt zu einem auf modern getrimmten Song mit Volksliedcharakter. Das hat in den letzten Jahren durchaus für Erfolg gesorgt und klingt wesentlich ehrlicher als manch anderes, was in diesem Contest herumfleucht. Meinen Segen hätte es (wenn schon alle meine anderen Favoriten untergehen sollten)

Albanien: Auch so ein junger Hüpfer wie Moldau, wenn man in ESC-Dimensionen rechnet. Dass man da noch nicht die richtige Mitte gefunden hat, um wirklich überzeugende Beiträge abzuliefern, sei ihnen verziehen. Die gute Kejsi Tola kann zwar singen, aber das Lied schwimmt eher im trüben Wasser und vor allem die Performance ist hundertmal ausbaufähig. Da wird es bis Moskau hoffentlich noch einige Verbesserungen geben.

Ukraine: OMG! Ukraine leidet definitiv an krankhaftem Ehrgeiz. Nach zwei zweiten Plätzen hintereinander meinen sie scheinbar, sie müssten dieses Jahr in ihren drei Minuten noch mehr nackte Haut und eine noch abstrusere Bühnenshow präsentieren als bisher (obwohl gerade Verka Serduchka als singende Diskokugel eigentlich nicht zu toppen ist). Ach ja, dass man während des ganzen Gehampels auch singen muss, hätte man fast vergessen. Aber das Lied ist Gott sei Dank so platt und eingängig, dass man sich ohne Probleme auf das Schauspiel konzentrieren kann. Normalerweise wäre das ein Garant für einen weiteren zweiten Platz. Aber vielleicht/hoffentlich werden die Jurys da anderer Meinung sein.

Estland: Ich freue mich jetzt schon auf den knallharten Kontrast, den wir an dieser Stelle im Halbfinale erleben werden. Gerade noch die hyperaktive Hupfdohle aus der Ukraine, jetzt diese düstere, unaufgeregte, fast sphärische Nummer, die einen vom ersten Saitenstrich an packt. Das sind die Momente, für die ich diesen Contest liebe. Bleibt nur zu hoffen, dass die Leute nicht zu sehr von Frau Loboda aufgekrisselt werden und diesen Beitrag vor lauter Reizüberflutung vergessen. Das wäre eine Schande.

Niederlande: :-)))))))))))) Wie heißt es so schön: das Beste kommt zum Schluss. Das trifft es bei diesem Beitrag wirklich wie die Faust aufs Auge. Ein Song, so kitschig, so trashig, so panne, so old school, dass er einfach nur genial ist. Und der Live-Auftritt dazu setzt dem ganzen noch das Sahnehäubchen obendrauf. (Freut euch schon auf die Backgroundtänzerinnen.) Also für mich alten Trash-Liebhaber ist dieses Lied eine Offenbarung. Der Großteil von Europa wird aber vermutlich nur den Kopf darüber schütteln und sich denken: Jetzt haben die Niederländer komplett den musikalischen Verstand verloren.

Unter Berücksichtigung all dieser Tatsachen heißen meine Tipps für zweite Halbfinale: 

Serbien
Dänemark
Norwegen
Aserbaidschen
Griechenland
Ukraine
Estland
Niederlande :-)
Ungarn
Moldau

Ich bin auf meine Trefferquote in zwei Wochen gespannt. Fehlen nur noch Russland und die großen Vier. Dazu aber mehr ein anderes Mal.

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